Bauer, Hans-Günther, Einhard Bezzel & Wolfgang Fiedler (Dez. 2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Alles über Biologie, Gefährdung und Schutz. Drei Bände. - Aula-Verlag, Wiebelsheim, ISBN 3-89104-696-0 (alle drei Bände), ca. 1770 Seiten, ca. 440 Verbreitungskarten, zweifarbiger Druck, Hardcover, Fadenheftung, 128.- €

Europäische Feldornithologen können auf gute Bestimmungsliteratur zurückgreifen, wie z.B. „Der neue Kosmos Vogelführer“ (Zeichnungen Mullarney, Zetterstrom, Text Svensson & Grant 1999; Rezensionen in ‚hab’ 30: 221/222 & ‚hab’ 32: 232-234). Die Bibliothek jedes Vogelkundlers sollte hierzulande aber unbedingt durch das Kompendium ergänzt werden: In ca. 600 Artbearbeitungen finden sich Kenntnisse zu folgenden Themen, die in Feldführern nur sehr fragmentarisch auftauchen: Taxonomie, Maße, Status, Verbreitung (jeweils mit Karte), Bestands-/Trendangaben für alle mitteleuropäischen Länder (für die letzten zwei Jahrzehnte für alle Brutvogelarten), Wanderungen, Siedlungsdichte, Gefährdungsursachen/Schutzmaßnahmen, Biotop, Nahrung, Stimme, Fortpflanzung/Brutbiologie, Eimaße/-gewichte, Sterblichkeit/Alter sowie Mauser. Jede Art-Abhandlung umfasst übersichtlich bei Brutvögeln 2 bis 4 (z.B. Kleiber) Seiten, Nichtbrutvögel werden auf bis zu 1 ½ (Schwalbenmöwe) Seiten abgehandelt, Ausnahmeerscheinungen auf ½ (Kanadakranich) bis ca. einer Seite (Graubruststrandläufer). Flächendeckend wurden folgende Länder berücksichtigt: Deutschland, Benelux, Schweiz, Österreich, Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn. Angrenzende Staaten wurden erfreulich oft in die Auswertungen miteinbezogen.

 

Der Vorläufer dieser kompakten Avifauna wurde 1985 (Nonpasseres) und 1993 (Passeres) allein von Einhard Bezzel veröffentlicht (vgl. Rezension in ‚hab’ 25, 1993, S. 238). Auch die völlige Neubearbeitung, nun von einem Team zehn namhafter Ornithologen, liegt derzeit nur in deutscher Sprache vor. Was hat sich - außer dem größeren Format/Umfang sowie dem aktualisierten Text - geändert?

Durch die modernen Erkenntnisse in der Taxonomie hat sich einerseits die Reihenfolge der Familien/Arten deutlich verändert (Die alte und neue Folge wird übersichtlich tabellarisch verglichen im einleitenden Text), andererseits sind durch zahlreiche Splits etliche „neue“ Arten dazugekommen (z.B. statt ehemals Yellow Wagtail nun 7 Arten!).

Hinzugekommen sind aktualisierte Teile aus dem Buch „Die Brutvögel Mitteleuropas: Bestand und Gefährdung“ von Bauer & Berthold (1997), wie z.B. Bestands-Veränderungen, Gefährdungsursachen oder Schutzmaßnahmen.

Die Unterkapitel „Kennzeichen“ wurden bei allen Arten extrem eingekürzt, letztlich in der Praxis - bis auf die Literatur- und Foto-Hinweise - völlig gestrichen. Dies erscheint vernünftig, da es zu diesem Thema genügend andere Bücher gibt, die zudem auch bebildert sein müssen. Auch wurde so Platz für die neu hinzugenommenen Themen gewonnen (siehe vorigen Punkt).

Die Trennung der nun ca. 370 Nonpasseres (808 Seiten) und ca. 230 Passeres (622 Seiten) auf zwei Bände ist zwar geblieben. Doch wurden das Literaturverzeichnis (4235 Quellen) sowie das Register praxisgerecht in einen schmaleren dritten Band (337 Seiten) verlagert. Dort finden sich außerdem diverse Schutz- und Bestandslisten (im Kontext mit ganz Europa), Rote Listen, eine Tabelle jener 254 Neozoen-Arten, welche sich in Mitteleuropa noch nicht dauerhaft etablieren konnten, sowie die Namen aller behandelten Vogelarten in 14 Sprachen.

 

Es gibt nur weniges zu kritisieren:

Fehler sind die Ausnahme. So wurde beim Split des ehemaligen Mittelmeer-Steinschmätzers in Mauren- und Balkansteinschmätzer die Verbreitungskarte gemeinsam für beide Arten undifferenziert beim Maurensteinschmätzer abgebildet.

Alle Literaturzitate erscheinen im Text lediglich als Nummer. Dies mag zwar Platz sparen, erfordert aber ein ständiges Nachschlagen im (immerhin separaten) Literaturverzeichnis, um herauszufinden, welche Quellen berücksichtigt wurden.

Zwar wurde die enorme Summe von 4235 Litersturstellen ausgewertet, doch ergibt sich am Beispiel vom Hamburger Berichtsgebiet, dass einige wichtige Ergebnisse aus den „Hamburger avifaunistischen Beiträgen“ (‚hab’) unberücksichtigt blieben. Damit meine ich nicht schwer auffindbare Stellen z.B. in Jahresberichten, sondern Artbearbeitungen. Von 1993 bis 2003 erschienen in den ‚hab’ 22 artbezogene Artikel, 17 davon blieben im Kompendium unberücksichtigt, sei es weil sie kaum neue Erkenntnisse lieferten (?) oder weil sie schlicht übersehen wurden? So fehlen im Kompendium weiterhin Mengenangaben zu den gut dokumentierten Berghänflings-Schlafplätzen inmitten Hamburgs City (regelmäßige Januar-Bestände von 200 bis 350 Exemplaren), zum Schlafplatz der Wasseramsel (bis 14 Ex.) oder der Rohrammer (bis 2200 Ex.). Auch ein Hinweis auf zunehmende Flachdach-Bruten des Austernfischers in der Stadtlandschaft Hamburgs weitab der Nordsee fehlt im Kompendium. 

Fazit: Der Verlag wirbt mit „das kompakte Gesamtwissen über die Vogelwelt Mitteleuropas“. Wenn dies auch (legitim) übertrieben erscheint - faktisch fehlen ja bei der Neubearbeitung die „Kennzeichen“ der Arten und sicher konnte unmöglich alle Literatur ausgewertet werden -, so ist dies ohne Zweifel das wichtigste Nachschlagwerk zum Bestand und zur Biologie aller mitteleuropäischen Vogelarten.

Jörg Wittenberg, Hamburg